Was ist 'Wesen'?

Vielleicht fragen wir uns erst einmal, woraus eigentlich das Wesen eines erwachsenen Hundes besteht. Kurz gesagt, aus drei Faktoren: der Erbanlage, der Prägung im Kleinstkindalter (!) und natürlich der Erziehung (einschl. Sozialisierung).

  1. Erbanlagen

  2. Von seinen Vorfahren erbt der Hund bestimmte Wesensanlagen. Auf sie können wir nur wenig Einfluss nehmen, und wenn, dann nur durch strikte Auswahl der Zuchttiere nach ihren diesbezüglichen Anlagen, was nur sehr begrenzt möglich ist. Wenn wir nämlich die potentiellen Elterntiere nicht von Geburt an kennen (und sie sehr gründlich hinsichtlich ihres Wesens beobachtet haben), sehen wir ja nur ihr heutiges Wesen insgesamt und wissen nicht, welcher Anteil davon erblich und welcher erworben ist. Dennoch kann man sich als Züchter auch um diesen Aspekt bemühen.

  3. Prägung

  4. Kynologische Verhaltensforscher haben in wissenschaftlichen Untersuchungen herausgefunden, dass das Wesen der “Hundeartigen” bereits in den ersten Lebenswochen eine Prägung durch die Umwelt erfährt. (Vgl. Entwicklungsphasen des Hundes von Eberhard Trumler.) Das ist ein bisschen vergleichbar mit der Programmierung eines Computers; mit einem wesentlichen Unterschied allerdings: Den falsch programmierten PC kann man umprogrammieren. Fehler in der Prägungsphase des Hundes aber bleiben ihm sein ganzes Leben erhalten. Sie sind auch mit großem Bemühen später wenig bis gar nicht auszugleichen. Die Prägephase ist mit 7-8 Wochen abgeschlossen. Deshalb kommt der Aufzucht der Hunde beim Züchter eine so überaus große Bedeutung zu!

 

 

Exkurs:

Gerade hörte ich zu diesem Thema passend hinsichtlich der Entwicklung der Lernfähigkeit von Kindern folgende, relativ neue Erkenntnisse von Prof. Dr. Wolf Singer , Max-Planck-Institut für Hirnforschung, Frankfurt/Main:

“Der Grund, warum es zu irreversiblen Veränderungen kommt, wenn bestimmte Funktionen nicht eingeübt werden, ist, dass sich das menschliche Gehirn - wir sind ja Nesthocker - noch bis zur Pubertät hin entwickelt. Wenn man auf die Welt kommt, sind die Nervenzellen zwar fast alle da, aber die Verbindungen zwischen den Nervenzellen weitestgehend noch nicht angelegt, vor allem in der Großhirnrinde nicht. Es wachsen also nach der Geburt noch Verbindungen aus, Nervenzellen fangen an, miteinander zu kommunizieren. Und dieser Ausreifungsprozess, der wird von der Aktivität der Nervenzellen gesteuert. D.h. nach der Geburt auch von der Information, die über das Sinnessystem aufgenommen wird, weil die die Aktivität der Nervenzellen modifiziert und beeinflusst. Es werden in dieser Entwicklungsphase etwa 40-50 % der Verbindungen, die einmal angelegt worden sind, und zwar im Überschuss, wieder eingeschmolzen, sie verschwinden wieder. D.h. die Endausprägung der funktionellen Architektur, wie wir das nennen, der Verschaltung, erfolgt nicht nur unter dem Einfluss der genetischen Instruktionen, die natürlich auch eine große Rolle spielen, sondern auch unter dem Einfluss von Erfahrung. Wenn diese Phase abgelaufen ist, lässt sich an der Architektur nichts mehr verändern. Man kann dann zwar immer noch lernen, aber das muss man dann im Rahmen des vorgegebenen Netzwerkes tun.”
(BR-alpha, Juni-01)

Vielleicht so etwas wie eine Parallele zur Prägephase bei den Hunden...

 

 

  1. Erziehung (einschl. Sozialisierung)

  2. Dies schließt alle weiteren Einflüsse nach der 8. Lebenswoche ein. Man könnte sagen, dass genetische Anlagen und Prägung quasi das Fundament bilden, auf das man ein Haus namens “Erziehung” bauen kann. Ist das Fundament gut und stabil, haben Sie die besten Voraussetzungen, ein schönes Haus (= gute Erziehung) darauf zu bauen. Folge: Positives Verhalten des Hundes. Natürlich können Sie auch eine windschiefe Bretterbude (= schlechte oder gar keine Erziehung) drauf setzen. Dann müssen Sie sich allerdings selbst ohrfeigen, wenn das Verhalten des Hundes später nicht Ihren Wünschen entspricht.

 

Basis gut, Aufbau schlecht = schlecht

 

Basis schlecht, Aufbau gut = schlecht

 

Das Optimum kann nur erreicht werden, wenn gute genetische Wesensanlagen, eine vielseitige Prägung und gute Erziehung zusammenkommen:

 

Basis gut, Aufbau gut = gut

 

Das Gegenteil (Anlagen schlecht, fehlende oder falsche Prägung, keine Erziehung) muss nun sicher nicht mehr aufgezeichnet werden.

Wenn man diese Zusammenhänge verinnerlicht und die Bedeutung der Welpenprägung verstanden hat, wird einem klar, wie wichtig es ist, sich auf einen Hund “vorzubereiten” und nicht einfach blind einer spontanen Idee zu folgen. Schließlich geht es darum, sich für 10-15 Jahre an ein neues Familienmitglied zu binden. Da will manches bedacht und vieles wohlüberlegt sein.

 

Auf die genetischen Wesensanlagen Ihres künftigen Hundes haben Sie keinen Einfluss. Aber Sie können den eventuellen Züchter danach fragen. Lassen Sie sich nicht einschüchtern. Ein Züchter, der (all-) wissend tut und Ihnen das Gefühl vermittelt, “Klein-Doofi” zu sein, hat entweder selbst keine Ahnung und versucht dies zu überspielen, oder aber er will Sie absichtlich über bestimmte Dinge im Dunklen lassen. Ein Züchter, der Ihnen offen über diese oder jene Probleme berichtet, sollte unbedingt Ihr Interesse finden. Schwierigkeiten gibt es überall, und der offene Umgang damit ist der einzig richtige und allemal besser als der Versuch, sie vertuschen zu wollen. Ein Züchter, der am Wohlergehen der Rasse im allgemeinen und dem seiner Hunde im besonderen interessiert ist, wird Ihnen gern und umfassend Auskunft geben.
Von einem Züchter, der Ihre Fragen (vor allem kritische) vom Tisch wischt, der konstatiert, dass Lakelands “für jeden geeignet sind, dass sie kaum Futter oder Körperpflege benötigen und sich quasi selbst erziehen”, sollten Sie sich freundlich aber möglichst bald verabschieden.

 

Ein Wort noch zur Zahl der gehaltenen Hunde und ihrer Unterbringung:


Berücksichtigt man die Erkenntnisse über die Bedeutung der Prägung der Welpen bis zur 8. Lebenswoche, wird einem schnell klar, dass bei Haltung vieler Hunde und in Zwingern keine menschenbezogene, vielseitige Prägung stattfinden kann.
Ob die Zwingerhaltung für das Rudel- und Lauftier Hund überhaupt als artgerecht anzusehen ist, muss bezweifelt werden. In den allermeisten Fällen wird weder das Gemeinschafts- noch das Bewegungsbedürfnis bei Zwingerhaltung artgerecht befriedigt. Nur “satt-sauber” reicht einfach nicht aus für eine artgerechte Hundehaltung. Daran ändern auch viele Championtitel und tolle Pokale überhaupt nichts.

 

nach Hause
Zur Charakter-Seite